und Jahresrechnung
Brief an die Genossenschafter*innen
Liebe Genossenschafter*innen Liebe Leser*innen
Der bedeutende französische Poet Victor Hugo liess sich einst mit einem spannenden Satz zitieren, als er über die Zukunft unserer Gesellschaft nachdachte: «Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen die Chance.» Unsere Siedlungsgenossenschaft möchte zu den Mutigen unserer Zeit gehören – denn die letzten Monate und Jahre haben uns vor Augen geführt, dass der Status quo nicht selbstverständlich ist und wir unsere herausragende Ausgangssituation bewahren und nutzen müssen.
In einer Zeit, die geprägt ist von globalen Herausforderungen wie die des Ukraine-Krieges, einer akuten Energiemangellage oder einer markanten Inflation, stellen der soziale Zusammenhalt und unsere Widerstandskraft wichtige Säulen unserer Gesellschaft dar. Diese gilt es nicht einfach zu bewahren, sondern vielmehr auch weiterzuentwickeln. Dabei wollen wir als tragende Institution in der Region Zürich, die für fast 5‘000 Menschen Wohnraum bietet, eine Vorreiterrolle einnehmen. Damit dies möglich ist, müssen wir jedoch den Wandel erkennen und Trends antizipieren. Kurz: Wir müssen in der Lage sein, Zukunft zu denken und Zukunft zu gestalten. Zu einer sinnstiftenden Zukunft gehört ein funktionierendes Zusammenleben in der Gemeinschaft; Deshalb zeigen wir in unserem diesjährigen Geschäftsbericht, wie der Sunnige Hof die Mitwirkung lösungsorientiert, zukunftsgerichtet und erfolgreich gestaltet. Dabei richten wir einerseits den Scheinwerfer auf das Neubauprojekt der Siedlung Probstei, das ganz im Zeichen der Mitwirkung stand. Andererseits blicken wir auf die kürzlich umgesetzten Klimamassnahmen in der Siedlung Mattenhof. Gerade diese Massnahmen zeigen, dass uns eine partnerschaftliche und genossenschaftliche Weiterentwicklung der ökologischen Nachhaltigkeit am Herzen liegt.
Um die Zukunft gestalten zu können, ist aber auch ein gesundes finanzielles Fundament notwendig. Dieses haben wir dank eines wiederum positiven Jahresabschlusses gelegt. Wir dürfen Ihnen, liebe Genossenschafter*innen, einen guten Geschäftsverlauf 2022 mit einem soliden Jahresgewinn und robusten Finanzkennzahlen präsentieren. Dieses erfreuliche Ergebnis garantiert uns die Flexibilität für unseren weiteren Weg in die Zukunft, dessen Ziel es ist, künftig noch mehr Menschen schöne und bezahlbare Lebensräume zur Verfügung stellen zu können.
Abschliessend möchten wir uns bei all jenen Weggefährten bedanken, welche den Sunnige Hof in den letzten Jahren begleitet haben; bei unseren Mitarbeitenden, die sich tagtäglich für das Wohl der Genossenschaft einsetzen, und bei der ganzen Genossenschaftsfamilie, die uns tatkräftig auf unserem Zukunftsweg unterstützt. Denn die Partizipation und eine respektvolle Debatte über eine tragfähige Zukunft sind für uns von zentraler Bedeutung – oder wie es der amerikanische Schauspieler George Burns einmal formulierte: «Schau in die Zukunft. In ihr wirst du den Rest deines Lebens verbringen.»
Snezana Blickenstorfer & Gabriele Burn
Unsere Siedlungen
Wohneinheiten:
Lagebericht
Mitwirkung
Der Sunnige Hof hat 2017 mit der Einführung der Mitwirkung das Fundament für ein nachhaltiges und konstruktives genossenschaftliches Zusammenleben gelegt. Wir tragen der Mitwirkung Sorge – das zeigen die Leuchtturm-Projekte der Siedlungsgenossenschaft, welche wir Ihnen in diesem Geschäftsbericht vorstellen.
Finanzbericht und Jahresrechnung
Mietzinseinnahmen
Bruttoanlagekosten inkl. Baukonti
Verzinsliche Verbindlichkeiten
Jahresgewinn
Cashflow Betrieb
Einlagen Erneuerungsfonds
Genossenschafter*innen
Mitarbeiter*innen
Finanzkennzahlen
Die besonnene, nachhaltige und vorausschauende Geschäftsstrategie zahlte sich für die Siedlungsgenossenschaft Sunnige Hof aus: So erzielte der Sunnige Hof im Berichtsjahr 2022 Mietzinseinnahmen in der Höhe von CHF 30.7 Mio. Ein Jahr zuvor kamen diese bei CHF 30.8 Mio. zu liegen. Der betriebliche Cashflow betrug CHF 13.3 Mio (2021: CHF 14.1 Mio.) und unter dem Strich schloss die Siedlungsgenossenschaft das Geschäftsjahr 2022 mit einem Jahresgewinn auf Vorjahresniveau von CHF 0.9 Mio. ab. Währenddessen beliefen sich letztes Jahr die verzinslichen Verbindlichkeiten auf rund CHF 517 Mio. Im Vergleich zum Vorjahr sanken die Verbindlichkeiten somit um etwa CHF 7 Mio. Die Bruttoanlagekosten beliefen sich im Berichtsjahr 2022 auf 689.6 Mio (2021: CHF 682.8 Mio.) Die Zusammenarbeit zwischen dem Sunnige Hof und der Senevita AG, die über das gemeinsame Tochterunternehmen Vivimus AG läuft, wurde indes auf eine neue Basis gestellt. Dabei wurden die bestehenden Verträge aufgelöst. Dies hatte Folgen für die Jahresrechnung 2022: Die über Darlehen finanzierten Initialkosten der Vivimus AG über CHF 1.2 Mio. sowie der Beteiligungsbuchwert von CHF 0.2 Mio. mussten vollständig wertberichtigt werden. Gleichzeitig wurden jedoch die dazu in den Vorjahren gebildeten Rückstellungen von CHF 0.5 Mio. aufgelöst und für die Wertberichtigung verwendet. Die unternehmerischen Risiken der Pflegeabteilung liegen künftig vollständig bei Senevita. Darüber hinaus erhält die Siedlungsgenossenschaft einen marktgerechten Mietertrag und in den Büchern des Sunnige Hof finden sich keine Risiken mehr für den Pflegebetrieb.
Vermietung
Im Frühling des letzten Jahres haben der Verwaltungsrat und die Geschäftsstelle das Vermietungsreglement angepasst und per 4. Juli 2022 neu in Kraft gesetzt. Das neue Reglement sieht unter anderem eine fünfjährige Karenzfrist bei einem internen Wohnungswechsel oder einer Umsiedlung vor. Zudem öffnet sich der Sunnige Hof mit dem neuen Vermietungsreglement gegenüber einer jüngeren und moderneren Zielgruppe. Abschliessend vereinfachte der Sunnige Hof die Vermietungsgrundsätze. Priorität bei der Vergabe eines Mietobjektes haben die Genossenschafter*innen. Mit diesen Anpassungen stellt der Sunnige Hof einerseits sicher, dass die Siedlungsgenossenschaft ihren Mitgliedern weiterhin preisgünstigen Wohnraum zur Verfügung stellen kann. Andererseits konnte die Vermietungsabteilung mit den erwähnten Anpassungen die internen Wartelisten reduzieren, die Wartedauer für einen Mietobjektwechsel verkürzen und somit einen Rückgang des Wohnungsleerstandes erreichen. Der Genossenschaft gelang es, die Leerstandsquote von 1.3 Prozent im Jahr 2021 auf rund 1 Prozent im Berichtsjahr 2022 zu senken. In diesem Zusammenhang verzeichnete die Vermietungsabteilung für das Geschäftsjahr 2022 insgesamt 147 Wohnobjektwechsel. Davon gelangten 55 Objekte auf den freien Wohnungsmarkt. Des Weiteren kam der Sunnige Hof den Mietenden im Jahr 2022 mit Mietzinserlassen von CHF 285’600 entgegen.
Organisation und Struktur
Im Jahr 2022 gab es keine Veränderungen im Verwaltungsrat. Für das Jahr 2023 stehen allerdings Erneuerungs- und Ergänzungswahlen an. Der Verwaltungsrat setzt sich derzeit aus folgenden Mitgliedern zusammen: Snezana Blickenstorger, Michael Bopp, Hans Pelloni, Marcel Nägeli, Wiebke Rösler Häfliger, Armin Imoberdorf, Demetrius Rinderknecht, Bersanzi Mozzetti und Sarah Genner (v. links).
Verwaltungsrat
Anfang April 2022 stiess Cécile Bachmann zur Geschäftsleitung des Sunnige Hof. Sie verantwortet den Bereich Genossenschaftliches Leben & Kommunikation und ist in dieser Funktion mit ihrem Team verantwortlich für die gesamte Kommunikation gegen innen und aussen sowie für den Mitwirkungsprozess im Sunnige Hof. Die Kommunikationsfachfrau mit einem Soziologie – und Ökonomiestudium an der Universität Basel bringt langjährige Berufserfahrung in der Unternehmenskommunikation und insbesondere im Finanzbereich mit. Abschliessend waren im Sunnige Hof per Ende des Jahres 2022 insgesamt 57 Mitarbeitende beschäftigt.
Geschäftsleitung
Gabriele Burn
Geschäftsführerin
Jérôme Hollenstein
Bereichsleiter DieFinanzen / Stellvertretender Geschäftsführer
Cécile Bachmann
Bereichsleiterin Genossenschaftliches Leben & Kommunikation
Patrick Bucher
Bereichsleiter DerBetrieb / SIBE
Katrin Gondeck
Bereichsleiterin DerBau
Bauen
Im für die Genossenschaft wichtigen Bereich «Bauen» konnten im vergangenen Geschäftsjahr einige Projekte weiter vorangetrieben werden: Im Frühling 2022 wurde die letzte Einsprache gegen den Neubau Mattenhof 3 aus der Nachbarschaft zurückgezogen und im Spätherbst konnten die Abbrucharbeiten beginnen. Darüber hinaus erfolgte die erste Sanierungsetappe der denkmalgeschützten Siedlung Sunnige Hof, bei der 16 Reihen- und fünf Einfamilienhäuser umfassend saniert wurden. Ausserdem haben der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung im Verlaufe des Berichtsjahres 2022 entschieden, die Siedlung Eichacker in Zürich-Schwamendingen langfristig durch einen Neubau zu ersetzen. Weiter konnte der Sunnige Hof den Architekturwettbewerb für den Ersatzneubau Probstei erfolgreich abschliessen. Nun geht es an die Bereinigung des Projekts und danach an das Vorprojekt.
Titelbild: Modellfoto Siegerprojekt THE THREE MAGNETS Wohnsiedlung Probstei West und Ost Foto Tom Licht
Mitwirkung
Mit einer deutlichen Mehrheit verabschiedeten die Genossenschafter* innen die Verankerung der Mitwirkung mittels einer Teilrevision in den Statuten der Genossenschaft. Einzelne Resultate aus dem 2017 eingeleiteten Mitwirkungsprozess sind bereits sichtbar; etwa in den Klimamassnahmen im Mattenhof oder im genossenschaftlich angelegten Partizipationsprozess für einen Ersatzneubau der Siedlung Probstei (siehe Beiträge auf den Seiten 14-17). Zu dieser basisdemokratischen Stossrichtung passt, dass der Sunnige Hof die Mitwirkung weiter ausbauen möchte – mitunter mit einer neu geplanten Siedlungsversammlung in der Siedlung Silbergrueb in Mönchaltorf. Der partizipative Gedanke zeigte sich zudem im Findungsprozess für zwei neue Verwaltungsratsmitglieder, die an der Generalversammlung 2023 zur Wahl gestellt werden. Hingegen konnten die Mitwirkenden und der Verwaltungsrat bei einigen Punkten im zu überarbeitenden Mitwirkungsreglement noch keinen Konsens erzielen. Daher beschloss der Verwaltungsrat in Absprache mit den Siedlungsdelegierten, das bestehende Mitwirkungsreglement befristet bis zum 31. Dezember 2024 in Kraft zu belassen und einen separaten Anhang mit dem Titel «Entschädigung zum Mitwirkungsreglement» zu implementieren.
Titelbild: Ordentliche Generalversammlung 2022 / Foto: Fabian Henzmann
Risiken
Die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat überprüfen jährlich die wesentlichen Risiken, wie sich diese entwickeln und mit welchen Massnahmen sie sich begrenzen lassen. Mit effektiven Analyse- und Controllinginstrumenten begegnen wir den Anforderungen an die Erkennung, Analyse und Verminderung von Risiken, denen der Sunnige Hof ausgesetzt ist. Ziel ist es, durch eine aktive Steuerung die Risiken beherrschbar zu machen und die Finanzkraft zu sichern. Es ist damit zu rechnen, dass die Heiz- und Nebenkostenthematik für die Genossenschafter*innen nach wie vor präsent sein wird. Nach einem jahrelangen Niedrigzinsumfeld sehen wir uns seit 2022 wieder mit steigenden Zinsen konfrontiert. Es ist davon auszugehen, dass der Referenzzinssatz in absehbarer Zeit auf 1.5 Prozent ansteigt. Dieser Anstieg würde zu einer allgemeinen Erhöhung der Mietzinsen berechtigen. Wir beobachten diese Entwicklungen und achten darauf, dass unsere Zinsrisiken so klein wie möglich bleiben. So sind beispielsweise mehr als 70% unserer Kredite und Hypotheken langfristig fixiert. Zusätzlich hat der Sunnige Hof bereits in den Vorjahren sogenannte Zinssatz-Swaps über CHF 53.0 Mio. abgeschlossen. Diese laufen teilweise bis ins Jahr 2050 und sichern uns vor weiteren Zinserhöhungen ab. Mit diesen Massnahmen ist sichergestellt, dass sich die finanziellen Folgen einer Zinswende in Grenzen halten.
Snezana Blickenstorfer stiess 2009 zum Verwaltungsrat des Sunnige Hof. Seit 2014 steht sie dem Gremium vor. Die 47-jährige Rechtsanwältin war 2017 massgeblich an der Entstehung der Mitwirkung innerhalb der Siedlungsgenossenschaft beteiligt. Nun blickt sie im Gespräch auf die Initialisierungsphase zurück und berichtet, welches die grössten Herausforderungen waren.
Snezana Blickenstorfer, was hat Sie motiviert, die Mitwirkung im Sunnige Hof im Jahr 2017 ins Leben zu rufen?
Snezana Blickenstorfer: Wir mussten in den Jahren zuvor feststellen, dass unsere Entscheidungsstrukturen nicht mehr zeitgemäss waren und nicht mehr der Grösse unserer Genossenschaft entsprachen. Unsere Mitgliederzahlen stiegen in den letzten 15 Jahren stetig, von rund 1000 auf 2500 Genossenschafter* innen, und inzwischen verfügen wir über rund 600 zusätzliche Wohnungen. Zudem wünschten wir uns, Entscheidungen innerhalb der Siedlungsgenossenschaft breiter abstützen zu können und das Mitbestimmungsrecht sowie die Wirksamkeit der Genossenschafter*innen zu stärken.
Sie sprechen davon, dass die Genossenschaft nicht mehr zeitgemäss aufgestellt war. Was bedeutet das konkret?
Wir zählten zu den älteren und behäbigen Genossenschaften, welche es gewohnt waren, ihre Entscheidungen allein von oben nach unten – natürlich immer mit Blick auf den statutarischen Gesellschaftszweck – zu fällen und umzusetzen. An der Generalversammlung durften dann die Genossenschafter* innen die Entscheidungen lediglich annehmen oder verwerfen. Ausserdem konnten wir nicht mehr mit Sicherheit sagen, was unsere Genossenschafter*innen im Alltag bewegt. So wussten wir nicht, ob es sich bei einzelnen Meinungsäusserungen um Partikularinteressen oder tatsächlich um ein genossenschaftsweites Bedürfnis handelte. Kurz: Wir waren nicht mehr am Puls unserer Bewohner*innen.
So ist also die Idee der Mitwirkung entstanden. Wie dürfen wir uns die Etablierung der Mitwirkung vorstellen?
Wir gingen ergebnisoffen an das Mitwirkungsprojekt heran. Wir waren und sind nach wie vor der Ansicht, dass sich die Mitwirkung nicht von aussen aufzwingen lässt. Die Teilnahme an einem nachhaltigen Mitwirkungsprozess muss sich seinen Weg von innen nach aussen bahnen. Deshalb gingen wir jeden Schritt unseres Weges gemeinsam mit den Genossenschafter* innen. Wir starteten als Erstes mit Workshops und Informationsveranstaltungen. Bei diesen Veranstaltungen haben wir eine Standortbestimmung vorgenommen. Wir holten bei den Teilnehmenden ab, welche Themen sie beschäftigen. Aus diesen Workshops und Informationsveranstaltungen, an welchen gegen 65 Mitglieder teilnahmen, ergaben sich wiederum Arbeitsgruppen, in denen auch Mitglieder der Geschäftsstelle und des Verwaltungsrates vertreten waren. Die Arbeitsgruppen beugten sich über strukturelle Grundsatzfragen genauso wie über Alltagsthemen. Aus diesen Gefässen kristallisierte sich beispielsweise heraus, dass die Genossenschafter*innen frühzeitig in Entscheidungsprozesse miteinbezogen werden möchten und wünschten, der Geschäftsstelle oder dem Verwaltungsrat selbst Inputs zu spezifischen Fragen zu liefern.
«Die Teilnahme an einem nachhaltigen Mitwirkungsprozess muss sich seinen Weg von innen nach aussen bahnen. Deshalb gingen wir jeden Schritt unseres Weges gemeinsam mit den Genossenschafter* innen.»
Und wo lagen für Sie in dieser Initialisierungsphase die grössten Herausforderungen?
Nicht jedem war sofort klar, dass die Mitwirkung für unsere Siedlungsgenossenschaft sinnvoll ist und unsere Gemeinschaft als Ganzes stärkt. Darüber hinaus durften wir das Erwartungsmanagement nicht aus den Augen verlieren, und nicht zuletzt mussten wir lernen, Kritik auszuhalten – besonders wenn wir auf kritische Fragen nicht sofort eine Antwort wussten, weil beispielsweise noch Abklärungen notwendig waren. Wir lernten aber auch, Kritik in konstruktive Lösungsansätze umzuwandeln. Aber noch heute steht ab und zu der Vorwurf im Raum, dass es uns mit der Mitwirkung nicht ernst genug ist. Ich kann den Genossenschafter*innen und Mitwirkenden versichern: Wir nehmen den Dialog sehr ernst. In allen Arbeits-, Begleit- und Projektgruppen sind je ein Mitglied des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung vertreten. Wir haben neben den bestehenden Gremien wie den Siedlungs- und Delegiertenversammlungen weitere Gefässe für den Austausch zwischen Mitwirkung und Verwaltungsrat geschaffen – wie die Standortbestimmung oder den Workshop NetzMitwirkung. Allein diese Beispiele illustrieren, dass es uns mit der Mitwirkung und dem Dialog ernst ist.
Sie sprechen von Erwartungsmanagement. Was meinen Sie damit?
Es stand die Befürchtung im Raum, die Genossenschafter*innen könnten im Zuge der Mitwirkung in die operative Tätigkeit der Geschäftsstelle eingreifen und beispielsweise über die Farben der Bodenplatten in den Badezimmern des Mattenhofs mitentscheiden wollen. Darum ging es den allermeisten Genossenschafter*innen jedoch nie. Sie möchten einfach mit uns über die wesentlichen Fragen der Siedlungsgenossenschaft sprechen. Gleichzeitig mussten wir den Mitwirkenden aber auch erklären, wie die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten innerhalb der Genossenschaft verteilt sind. So liegt die strategische Ausrichtung grundsätzlich im Aufgabenbereich des Verwaltungsrates. In der Mitwirkung müssen wir uns stets die Frage stellen: Handelt es sich um ein Thema, das in der Kernkompetenz der Generalversammlung, des Verwaltungsrates, der Geschäftsstelle oder der Mitwirkung liegt? Dennoch können und sollen wir im Sunnige Hof über Entscheidungen lustvoll diskutieren können.
«Wir haben bewiesen, dass die Mitwirkung im Sunnige Hof keine Modeerscheinung ist.»
Welche wesentlichen Fragen möchten Sie gemeinsam mit den Mitwirkenden klären?
Snezana Blickenstorfer: Da gibt es einige wie: Wohin soll sich die Genossenschaft weiterentwickeln? Wo legen wir unsere inhaltlichen Schwerpunkte? Möchten wir den Bewohnenden die günstigstmögliche Miete oder den maximalen Komfort bieten oder setzen wir voll auf Biodiversität und Klimaschutz? Was ist der richtige Mittelweg für unsere Genossenschaft?
Hatten Sie ein Vorbild, einen Benchmark, die Sie bei der Initialisierung der Mitwirkung angestrebt haben?
Snezana Blickenstorfer: In der Tat haben wir uns in der Genossenschaftsszene umgehört, wie die Mitbewerber die Mitwirkung umsetzen – ein klares Vorbild gab es und gibt es aber nicht. Zudem liessen wir uns von einem externen Branchenspezialisten in dieser Sache begleiten. Wir wollten mit den Genossenschafter*innen unseren eigenen Mitwirkungsweg begehen. Dieser sollte spezifisch auf den Sunnige Hof zugeschnitten sein. Ich denke, das ist uns gemeinsam mit den Mitwirkenden gut gelungen.
«Wir wollten mit den Genossenschafter*innen unseren eigenen Mitwirkungsweg begehen. Dieser sollte spezifisch auf den Sunnige Hof zugeschnitten sein.»
Gab es Schlüsselmomente, in denen Sie gespürt haben: Jetzt haben wir den höchsten Bergpass bezwungen?
Snezana Blickenstorfer: Es gab mehrere solcher Momente: die initialen Workshops, die sich durch eine hohe Teilnehmerzahl und engagierte Diskussionen auszeichneten; als die ersten fassbaren Arbeitsresultate wie der Büchertreff, der nur dank einem grossen Einsatz der involvierten Personen eröffnet und bis heute weitergeführt werden konnte, vorlagen; die erste Delegiertenversammlung, an denen gewählte Siedlungsdelegierte teilnahmen; bis hin zur überwältigenden Zustimmung der Genossenschafter*innen an der Generalversammlung zur dreijährigen Pilotphase der Mitwirkung. Insbesondere die Pilotphase war für uns sehr wichtig. Einerseits, weil die Mitwirkung auf diese Weise zu unserer DNA wurde, und andererseits, weil wir in dieser Zeit wichtige Erfahrungen für die Zukunft der Mitwirkungsgefässe sammeln konnten. Und letztlich die Festschreibung der Mitwirkung in den Statuten. Wir hatten aber auch Rückschläge.
Welche?
Snezana Blickenstorfer: Zu Beginn waren die Siedlungsversammlungen schlecht besucht. So kamen Zweifel auf, ob fixe Mitwirkungsstrukturen für uns der richtige Weg sind. Dann machte uns die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung, weil wir uns nicht mehr physisch treffen konnten. Aber dank dem grossen Engagement und Durchhaltewillen der Delegierten sowie dem permanenten Austausch zwischen den Mitwirkenden und der Geschäftsstelle gelang es, die Mitwirkung auf ein gesundes Fundament zu stellen.
Rückblickend stellt sich die Frage: Welche drei Begriffe verbinden Sie mit der Mitwirkung?
Snezana Blickenstorfer: Gute Entscheidungen dank breit abgestützter Meinungsbildung, Selbstwirksamkeit der Genossenschafter* innen sowie die Stärkung der Gemeinschaft.
«Wir haben bewiesen, dass die Mitwirkung keine Modeerscheinung ist. Schliesslich existiert sie bereits seit bald sechs Jahren.»
Und was wünschen Sie sich für die Zukunft der Mitwirkung?
Snezana Blickenstorfer: Wir haben bewiesen, dass die Mitwirkung keine Modeerscheinung ist. Schliesslich existiert sie bereits seit bald sechs Jahren. Die Teilnehmerzahl der Mitwirkung steigt stetig. Ich wünsche mir eine noch höhere Teilnahmequote und mehr Diversität. Es sollen sich alle Genossenschafter* innen unabhängig von ihrer Bildung, Herkunft und Muttersprache engagieren. Es ist allerdings auch klar, dass nicht alle über die gleichen Ressourcen verfügen, um sich die notwendige Zeit zu nehmen. Alle Bewohnenden unserer Siedlungen sind an den Siedlungsversammlungen und in den weiteren Mitwirkungsgefässen herzlich willkommen. Es ist nie zu spät, sich in der Mitwirkung zu engagieren.
Seit sechs Jahren wertet der Sunnige Hof den Mattenhof mit zusätzlicher Grünfläche auf und erhöht damit die Lebensqualität der Genossenschafter*innen. Dieses langfristige Projekt setzt die Siedlungsgenossenschaft mittels eines Mitwirkungsprozesses um. Der Siedlungsdelegierte Michael Van den Bos und Katrin Gondeck, Leiterin der Abteilung DerBau, berichten im Doppel- Interview über ihre Erfahrungen und wagen einen Blick in die Zukunft.
Katrin Gondeck, der Sunnige Hof hat in den letzten Monaten in der Siedlung Mattenhof diverse Klimamassnahmen umgesetzt. Was war der Anlass für dieses genossenschaftliche Projekt?
Katrin Gondeck: Die sommerliche Hitze hat den Bewohner*innen seit ihrem Einzug in die neue Siedlung Mattenhof im Herbst 2017 zunehmend zu schaffen gemacht. Vor allem die grosse, dunkle Asphaltierungsfläche im Mattenhof ist in den Sommermonaten anfälliger für einen erhöhten Hitzestau und schränkt die Aufenthaltsqualität – gerade im Sommer – ein. Wie wir ja alle spüren, häufen sich die Hitzesommer in immer kürzeren Abständen, und somit haben sich auch die Klagen der Genossenschafter*innen über die Hitze im Mattenhof gehäuft. Diesen Umstand haben wir zum Anlass genommen, um uns die Frage zu stellen: Mit welchen Massnahmen können wir der Wärmeentwicklung im Mattenhof entgegenwirken und die Aufenthaltsqualität des Innenhofs verbessern? Wir tauschten uns mit den Landschaftsarchitekten aus und führten Temperaturmessungen in der Siedlung durch. Dabei wurde festgestellt, dass es im Sommer sogenannte Hitzeinseln gibt – also Stellen, an welchen die Temperaturen besonders hoch sind. Auf Grundlage dieser Messungen haben wir gemeinsam mit den Landschaftsarchitektinnen erste Vorschläge erarbeitet und holten gleichzeitig die Mitwirkenden des Mattenhofs ins Boot. Es war uns wichtig, dass wir sie an diesem Projekt teilhaben lassen. Schliesslich sind sie die Direktbetroffenen.
Wie haben Sie von der Mitwirkung reagiert, Herr Van den Bos, als die Geschäftsstelle Sie mit diesem Thema zum ersten Mal kontaktiert hat?
Michael Van den Bos: Ich kann zwar nur für mich sprechen, aber ich denke, wir alle haben es geschätzt, dass die Abteilung «DerBau» und die Geschäftsstelle in dieser Angelegenheit gleich mit konkreten Vorschlägen auf uns zugekommen sind – zumal diese Thematik unsere Lebensqualität direkt tangiert. Darum wollten wir dieses Nachhaltigkeitsthema in einem grösseren Kontext und mit einem breiteren Publikum besprechen. So ist aus den ersten Gesprächen im kleinen Kreis ein seriöser Mitwirkungsprozess entstanden, welcher mitunter eine siedlungsinterne Umfrage zu den Klimamassnahmen im Mattenhof beinhaltete.
Katrin Gondeck: Die Inputs und die Zusammenarbeit mit der Mitwirkung waren für uns sehr bereichernd. Dass wir uns mit den Siedlungsdelegierten zusammengesetzt und uns überlegt haben, wie wir diese siedlungsinterne Umfrage aufgleisen, hat sich wirklich gelohnt.
«Wir alle haben es geschätzt, dass die Abteilung «DerBau» und die Geschäftsstelle in dieser Angelegenheit gleich mit konkreten Vorschlägen auf uns zugekommen sind – zumal diese Thematik unsere Lebensqualität direkt tangiert.»
Michael Van den Bos
Nehmen Sie uns bei dieser Reise bitte ein wenig mit: Weshalb war die Umfrage bei der Entwicklung und Umsetzung der Klimamassnahmen zentral?
Katrin Gondeck: Zu Beginn lagen uns von den Landschaftsarchitektinnen rund 15 Ideen für die Klimamassnahmen vor, die wir im «Schaufenster» vom Treffpunkt präsentiert haben. Gleichzeitig haben wir die Bewohner*innen aufgerufen, mitzumachen und eigene Ideen einzubringen. Es folgten fünf weitere spannende Vorschläge, die wir in die Umfrage integriert haben. Wir wollten sicherstellen, dass die Ideen in der Siedlung Mattenhof genossenschaftlich breit abgestützt sind, und vor allem wollten wir wissen, welche Massnahmen am besten ankommen. Darum ist die Umfrage entstanden. Jeder Haushalt im Mattenhof bekam einen Flyer mit QR-Code und konnte damit die vorgeschlagenen Klimamassnahmen in einem Ranking mittels Schulnoten bewerten. Zusätzlich wurde mit Plakaten in den Treppenhäusern und Aushängen im «DerTreffpunkt » auf die Umfrage aufmerksam gemacht.
Wir wollten sicherstellen, dass die Ideen in der Siedlung Mattenhof genossenschaftlich breit abgestützt sind, und vor allem wollten wir wissen, welche Massnahmen am besten ankommen.
Katrin Gondeck
Michael Van den Bos: Die Teilnehmerzahl der Umfrage war hoch. Das zeigt klar: Wir haben in dieser Sache den richtigen Weg eingeschlagen.
Und wie sahen die Vorschläge aus?
Katrin Gondeck: Das Interessante war, dass die Ideen und Bedürfnisse der Bewohner*innen mit unseren internen Abstimmungen mit dem Verwaltungsrat und der Geschäftsstelle beinahe deckungsgleich waren. Von der Begrünung der Tiefgarage und der Velodächer, den neuen zusätzlichen Pflanzungen bis hin zur Fassadenbegrünung wie auch das Beschattungsnetz hatten fast alle die gleichen Präferenzen. Auch die Betonbeläge aufzubrechen, traf sowohl auf der Geschäftsstelle wie auch genossenschaftlich auf breite Zustimmung.
Wo haben Sie sich die Inspiration für die Klimamassnahmen geholt?
Michael Van den Bos: Es gab Mieter, die Klimamassnahmen selbst entworfen haben. Diese sind am Computer entstanden. Der verantwortliche Genossenschafter hat das so gewissenhaft getan, dass er gleich noch die Baupläne hätte mitschicken können. Zudem hat jeder Einzelne seinen eigenen Erfahrungsschatz eingebracht und zu den Klimamassnahmen recherchiert. Die Mitwirkung und auch die Siedlung als Ganzes haben sich mit der Thematik vertieft auseinandergesetzt.
«Es gab Mieter, die Klimamassnahmen selbst entworfen haben. Diese sind am Computer entstanden.»
Michael Van den Bos
Auf welche Massnahme sind Sie besonders stolz?
Katrin Gondeck: Über das begrünte Garagendach freue ich mich jedes Mal beim Vorbeilaufen. Es ist ein cooler Blickfang und verändert sich mit den Jahreszeiten, mal sind es rote Tulpen, mal violetter Zierlauch. Die Fassadenbegrünung ist ebenfalls eine Bereicherung. Es war eine positive Überraschung, dass der Hopfen – trotz dem heissen Sommer – in so kurzer Zeit so rasch in die Höhe geschossen ist.
Michael Van den Bos: Und ich bin sehr gespannt, wie sich die Klimamassnahmen vor den Eingangsbereichen gestalten. Dort wird ja erst noch der Asphalt aufgerissen und begrünt. Diese Massnahme wird nun umgesetzt.
Die Umsetzung der Klimamassnahmen war ein genossenschaftliches Gemeinschaftsprojekt. In welcher Rolle haben Sie sich als Mitwirkende gesehen?
Michael Van den Bos: Wir haben uns Mühe gegeben, die Bewohnerschaft für dieses Projekt so weit wie möglich zu begeistern und zu mobilisieren, und waren dafür zuständig, deren Ideen, Wünsche und Bedürfnisse der Geschäftsstelle zu vermitteln. Rückblickend kann ich sagen, dass uns dieser Auftrag gut gelungen ist. Wir hatten mit der Geschäftsstelle stets eine konstruktive und lösungsorientierte Gesprächspartnerin. Grundsätzlich ist die Umsetzung der Klimamassnahmen ein Paradebeispiel dafür, wie die Mitwirkung innerhalb der Siedlungsgenossenschaft funktionieren kann.
Also eine Art Blaupause?
Michael Van den Bos: Zumindest ergab bei diesem Projekt jeder Schritt einen Sinn. Wir sehen die Fortschritte Tag für Tag, wie die Pflanzen unsere Siedlung grüner machen.
«Bei diesem Projekt ergab jeder Schritt einen Sinn. Wir sehen die Fortschritte Tag für Tag, wie die Pflanzen unsere Siedlung grüner machen.»
Michael Van den Bos
Katrin Gondeck: Die Klimamassnahmen sind für alle sicht- und greifbar.
Michael Van den Bos: Jeder konnte mitreden und mitdenken. Wir sind uns bewusst, dass dieses Projekt nicht 1 zu 1 auf andere Mitwirkungsthemen übertragbar ist. Trotzdem können uns die Klimamassnahmen als Vorbild dienen. Noch heute bleiben die Leute beim «Treffpunkt»-Schaufenster stehen und schauen sich die Pläne zu den Klimamassnahmen an. Allein dieser Umstand zeigt, dass sich die Bewohner*innen für das Projekt interessieren. Vielleicht ist der eine oder andere sogar ein wenig stolz auf das Erreichte.
Katrin Gondeck: Und dennoch müssen wir die Genossenschafter* innen noch ein wenig um Geduld bitten: Die positiven Effekte der umgesetzten Klimamassnahmen sind noch nicht ganz spürbar. Es braucht Zeit, bis die Massnahmen ihre vollständige Wirkung innerhalb der Siedlung entfalten. Das gilt besonders für die gesetzten Pflanzen. Wir führen aber zu gegebener Zeit Messungen durch, damit wir wissen, wo wir stehen und an welchen Stellen wir noch optimieren müssen.
Michael Van den Bos: Das ist auch nicht weiter tragisch. Wir alle verstehen das. Vielmehr müssen wir weiterdenken: Das Thema ist jetzt in den Köpfen der Genossenschafter*innen angekommen. Es ist kein Zwang da, die Umwelt zu schützen. Die Mieter*innen überlegen sich, welchen Beitrag sie zur ökologischen Nachhaltigkeit beisteuern können. So gab es beispielsweise den Wildstaudenmarkt. Diesen haben die Bewohner*innen initiiert. Auf diesem Markt haben sich die «Mattenhöfler*innen» darüber ausgetauscht, welche Pflanzen sich am besten als Schattengewächse für den Balkon eignen. Das ist eine riesige Leistung und darauf können wir stolz sein – weil es Sinn macht: Wenn wir über den Klimaschutz nachdenken, können wir gleich noch das Thema Biodiversität integrieren. Die Biodiversität hat sich in der Mitwirkung aus der Diskussion über die Klimamassnahmen ergeben. Daran erinnere ich mich sehr gut. Die Frage kam sofort auf: Warum denken wir nicht gleich noch die Biodiversität mit? Es war nicht ein geradliniger oder eindimensionaler Prozess. Alle haben mitgeholfen und jeder Einzelne leistete einen Beitrag. An dieser Stelle möchte ich den Gärtnern dafür danken, dass sie in diesem Bereich vorangegangen sind und von sich aus Stein- und Asthaufen in der Siedlung installiert oder Pflanzenfelder angebaut haben.
Wie sieht Ihre Vision aus, Herr Van den Bos? Wie sollen die Klimamassnahmen am Ende aussehen und die Siedlung bereichern?
Michael Van den Bos: Wilder! Wenn es wilder ist, wird die Siedlung lebendiger. In unserer Siedlung gibt es sehr viele rechte Winkel und die Klimamassnahmen brechen diese Bauweise ein wenig auf. Zudem ist meine Hoffnung: Jeder überlegt sich, wie er die Biodiversität im Quartier erhöhen kann.
Im Jahr 2017 führte der Sunnige Hof die Mitwirkung ein. Seither konnte die Siedlungsgenossenschaft den Diskurs mit seinen Genossenschafter*innen nicht nur festigen, sondern auch ausbauen. Dank dieser Partnerschaft gelang es, erste Leuchtturmprojekte erfolgreich umzusetzen – dazu gehört der Ersatzneubau der Siedlung Probstei. Grund genug, gemeinsam mit einem beteiligten Genossenschafter auf diesen gelungenen Mitwirkungsprozess zurückzublicken.
Sichtlich zufrieden blickt Lukas Schmid auf die Pläne und das Gipsmodell des geplanten Ersatzneubaus der Siedlung Probstei in Zürich-Schwamendingen. Dem 48-jährigen Zürcher gefällt, was er sieht. Angereichert mit kleinen Ecken und Kanten, zeugen die drei einfach geschnittenen Baukörper des Siegerprojekts «The Three Magnets» aus dem Architekturwettbewerb von Qualität: «Die Architekten haben entlang der Hauptstrasse kleine Erker in die Wohnungen eingeplant. Diese rhythmisieren einerseits die Strassenfassade, und andererseits werden die Bewohnenden dank diesen Erkern künftig aus den Küchenfenstern auf den langen Strassenverlauf hinausblicken – ein geschickt eingesetztes Mittel, um den knapp bemessenen Wohnungen Grosszügigkeit zu verleihen.»
Lukas Schmid weiss, wovon er spricht: Der ausgebildete Hochbauzeichner mit anschliessendem Architekturstudium in Winterthur und Berlin wohnt seit über zehn Jahren in der Else-Züblin-Siedlung in Zürich-Albisrieden, ist gleichzeitig Mitglied der Begleitgruppe Bau und somit Mitwirkender der ersten Stunde.
Kritischer Geist mit an Bord
Kein Zufall, band ihn die Geschäftsstelle des Sunnige Hof gemeinsam mit anderen Mitwirkenden zu einem frühen Zeitpunkt in die Erarbeitung der Projektziele für den Ersatzneubau Probstei mit ein und konnte dabei während dieses Mitwirkungsprozesses von seinem gesamten beruflichen und akademischen Erfahrungsschatz profitieren.
Für den zweifachen Familienvater war schnell klar, sich bei diesem Projekt einzubringen – selbst wenn oder vielleicht auch gerade weil von ihm ab und an kritischere Töne zu vernehmen sind: «In der Tat gehöre ich zu den kritischen Geistern der Genossenschaft und halte mit meiner Meinung in der Regel nicht hinter dem Berg. Deshalb hielt ich es auch für richtig und wichtig, mich aktiv in diesen Prozess mit einzubringen », sagt Lukas Schmid.
Breite Basisarbeit ebnete den Weg zum Erfolg
Auf diese Worte liess Lukas Schmid denn auch Taten folgen: Für die Probstei konnte die Begleitgruppe Bau eine projektspezifische Arbeitsgruppe bilden und somit erstmals einen wichtigen Bestandteil ihres Mitwirkungskonzepts umsetzen. In diesem neu ins Leben gerufenen Mitwirkungsgefäss diskutierten die Mitwirkenden gemeinsam mit Mitgliedern aus dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung mögliche Anforderungen und Ziele für das Projekt und spiegelten sich gegenseitig die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Markt- und Standortanalyse.
Fester Bestandteil der Basisarbeit waren derweil Workshops, an denen nebst Verwaltungsrat und Geschäftsstelle auch die Projektgruppe miteinbezogen war. Daraus entstanden letztlich realistische Vorgaben für das nun vorliegende Ersatzneubauprojekt. «Wir haben uns viel Zeit für vertiefte Gespräche genommen und wogen diverse Argumente gegeneinander ab – ein fruchtbarer Mitwirkungsprozess», bestätigt Lukas Schmid. Überdies flossen auch die Anliegen der Probstei-Anwohner* innen in den Prozess mit ein und an einem Informationsanlass konnten alle interessierten Genossenschafter*innen aus den umliegenden Siedlungen die Ergebnisse aus den Workshops diskutieren.
«Wir haben uns viel Zeit für vertiefte Gespräche genommen und wogen diverse Argumente gegeneinander ab – ein fruchtbarer Mitwirkungsprozess»
Das Gespräch mit Lukas Schmid zeigt eindrücklich: Der Architekt ist Genossenschafter durch und durch. Neben seinem Engagement als Mitwirkender des Sunnige Hof ist er beispielsweise auch als Vorstandsmitglied einer anderen Siedlungsgenossenschaft im Raum Zürich tätig.
Blick auf das Wesentliche nicht verlieren
Trotz der Passion für die Genossenschaft und die Architektur: Fallstricke sind auch in einem solchen Projekt nicht zu vermeiden. So empfand Lukas Schmid es als herausfordernd, sich in den Diskussionen innerhalb der Projektgruppe nicht in der Vielfalt der Themen zu verlieren: «Es wurden Aspekte auf unterschiedlichsten Ebenen diskutiert: Was ist eine angemessene Aufteilung der verschiedenen Wohnungstypen? Was braucht es für Infrastrukturen für ein genossenschaftliches Zusammenleben? Wie grosszügig sollen die Wohnungen bemessen sein? Über wie viele Nasszellen sollen die einzelnen Wohnungen verfügen, und wie soll die Kostenstruktur aussehen?» Um sich in all diesen Fragen einzubringen, war ein bestimmter Grad an Fachwissen hilfreich, gibt Lukas Schmid ebenfalls zu Protokoll.
Trotz der komplexen Aufgabenstellung lässt sich das Ergebnis sehen. Dazu war es wichtig, dass die Projektgruppe das Genossenschafter und Architekt Lukas Schmid kann voll und ganz hinter dem Neubauprojekt Probstei stehen. 17 | Geschäftsbericht 2022 Wesentliche nicht aus den Augen verlor: «Schliesslich ist es uns gelungen, einige wichtige Fokusthemen als Anliegen aus der Mitwirkungsgruppe für den weiteren Verlauf des Entwicklungs- und Planungsprozesses der neuen Probstei als Projektziele zu formulieren und dem Verwaltungsrat vorzuschlagen. » Der Verwaltungsrat prüfte diese Ideen und Vorschläge wohlwollend und fällte daraufhin seine Entscheidungen – in der Regel im Sinne der Mitwirkung.
Fokus auf soziale Nachhaltigkeit
Tatsächlich stand das Motto für die Verantwortlichen der Projektgruppe früh fest: «Wir waren uns einig, dass der Fokus auf kostengünstigen Wohnungen liegen muss», sagt Lukas Schmid. Als Kondensat aus den intensiven Diskussionen formulierte die Projektgruppe gemeinsam mit der Begleitgruppe Bau den Slogan «preisWertig: ökonomisch, ökologisch und sozial» für die Erneuerung des Wohnungsbestands in der Probstei. Dafür plant die Genossenschaft, die 36 Reihenhäuser an der Dübendorfstrasse durch Neubauten mit rund 135 Wohnungen zu ersetzen. Zeitgemässe Schalt- und Gästezimmer, ein Gemeinschaftsraum, Ateliers und ein Doppelkindergarten sollen zu einem lebendigen, flexiblen und familienfreundlichen Siedlungsangebot beitragen. Darüber hinaus sind im Ersatzneubau auch Grosswohnungen mit bis zu sechs Zimmern anzutreffen.
Bereichernde Juryarbeit
Nach dem erfolgreichen Abschluss der Projektdefinition mit der Festlegung der Ziele gingen der angestossene Architekturwettbewerb und die damit verbundene Juryarbeit professionell, zielgerichtet, stufengerecht wie auch in einer genossenschaftlichen Atmosphäre über die Bühne. «Für mich war die Tätigkeit in der Jury trotz grossem Zeitaufwand ein positives Erlebnis. Die Diskussionen zwischen den unabhängigen Fachspezialisten und den Genossenschaftsvertreter*innen war vielschichtig und bereichernd. So konnten die unterschiedlichsten Blickwinkel in die Bewertung der Projekte miteinbezogen werden», führt Lukas Schmid aus. Die Vertreterin des Amtes für Städtebau habe stets die Bewilligungsfähigkeit im Auge behalten, während für die Landschaftsarchitektin die Einbettung in die umliegenden Aussenräume und das Quartier Priorität hatte.
«Für mich war die Tätigkeit in der Jury trotz grossem Zeitaufwand ein positives Erlebnis. Die Diskussionen zwischen den unabhängigen Fachspezialisten und den Genossenschaftsvertreter*innen war vielschichtig und bereichernd.»
Im Schlussspurt und nach Abschluss des Mitwirkungsprozesses beugte sich die Jury im Beurteilungsprozess über vier Projekte, welche es in die engste Auswahl schafften. Einen klaren Favoriten hatte der verheiratete Familienvater zu diesem Zeitpunkt noch nicht. «Alle vier Projektvorschläge bewegten sich auf Augenhöhe.» Ausserdem verfolgten die Architektenteams verschiedene architektonische Ansätze. Während ein Projektteam einen Teil der Bausubstanz erhalten wollte, versuchte ein anderes Architekturbüro, die maximale Dichte zu erreichen. «Das waren interessante Beiträge, weil sie uns in der Schlussrunde dazu zwangen, nochmals über grundsätzliche Themen zu debattieren.»
Aussenraum überzeugte
Am Ende setzte sich das Projekt «The Three Magnets» des noch jungen Büros MMMR Architekten im Gremium einstimmig gegen die Konkurrenz durch. Das Siegerprojekt leistet einen Beitrag zur Modernisierung der Gartenstadt Schwamendingen. Für Lukas Schmid gab unter anderem auch der Aussenraum den Ausschlag. «Die drei schlanken Häuser finden eine präzise Antwort auf die herausfordernde Situation der schmalen, entlang der Dübendorfstrasse gelegenen Grundstücke. Es gelingt den Architekten, auf der von der Strasse abgewandten Seite einen Siedlungsraum zu bilden, welcher auf selbstverständliche Weise beide Arealteile der Probstei miteinander verbindet.» Abgerundet wird das Projekt mit einem charakterstarken Steildach. Beim Betrachten der Pläne und des Modells reflektiert der Genossenschafter Lukas Schmid noch einmal die vergangenen Monate: «Der Entwicklungsprozess um den Ersatzneubau Probstei war ein gelungenes Beispiel für einen funktionierenden Mitwirkungsprozess, bei dem ein transparenter und offener Dialog zwischen Geschäftsstelle, Verwaltungsrat und Genossenschafter*innen stattfand.» Daher ist für den Architekten klar: Das von der Begleitgruppe Bau verfasste Mitwirkungskonzept konnte erfolgreich umgesetzt werden und ist zukunftsfähig – zum Wohl der Bewohnenden und der Genossenschaft selbst.