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Wie aus einem partizipativen Genossenschaftsprozess ein überzeugendes Neubauprojekt wurde

Wie lief der Mitwirkungsprozess ab?

Im Jahr 2017 führte der Sunnige Hof die Mitwirkung ein. Seither konnte die Siedlungsgenossenschaft den Diskurs mit seinen Genossenschafter*innen nicht nur festigen, sondern auch ausbauen. Dank dieser Partnerschaft gelang es, erste Leuchtturmprojekte erfolgreich umzusetzen – dazu gehört der Ersatzneubau der Siedlung Probstei. Grund genug, gemeinsam mit einem beteiligten Genossenschafter auf diesen gelungenen Mitwirkungsprozess zurückzublicken.

Sichtlich zufrieden blickt Lukas Schmid auf die Pläne und das Gipsmodell des geplanten Ersatzneubaus der Siedlung Probstei in Zürich-Schwamendingen. Dem 48-jährigen Zürcher gefällt, was er sieht. Angereichert mit kleinen Ecken und Kanten, zeugen die drei einfach geschnittenen Baukörper des Siegerprojekts «The Three Magnets» aus dem Architekturwettbewerb von Qualität: «Die Architekten haben entlang der Hauptstrasse kleine Erker in die Wohnungen eingeplant. Diese rhythmisieren einerseits die Strassenfassade, und andererseits werden die Bewohnenden dank diesen Erkern künftig aus den Küchenfenstern auf den langen Strassenverlauf hinausblicken – ein geschickt eingesetztes Mittel, um den knapp bemessenen Wohnungen Grosszügigkeit zu verleihen.»

Lukas Schmid weiss, wovon er spricht: Der ausgebildete Hochbauzeichner mit anschliessendem Architekturstudium in Winterthur und Berlin wohnt seit über zehn Jahren in der Else-Züblin-Siedlung in Zürich-Albisrieden, ist gleichzeitig Mitglied der Begleitgruppe Bau und somit Mitwirkender der ersten Stunde.

Kritischer Geist mit an Bord
Kein Zufall, band ihn die Geschäftsstelle des Sunnige Hof gemeinsam mit anderen Mitwirkenden zu einem frühen Zeitpunkt in die Erarbeitung der Projektziele für den Ersatzneubau Probstei mit ein und konnte dabei während dieses Mitwirkungsprozesses von seinem gesamten beruflichen und akademischen Erfahrungsschatz profitieren.

Für den zweifachen Familienvater war schnell klar, sich bei diesem Projekt einzubringen – selbst wenn oder vielleicht auch gerade weil von ihm ab und an kritischere Töne zu vernehmen sind: «In der Tat gehöre ich zu den kritischen Geistern der Genossenschaft und halte mit meiner Meinung in der Regel nicht hinter dem Berg. Deshalb hielt ich es auch für richtig und wichtig, mich aktiv in diesen Prozess mit einzubringen », sagt Lukas Schmid.

Breite Basisarbeit ebnete den Weg zum Erfolg
Auf diese Worte liess Lukas Schmid denn auch Taten folgen: Für die Probstei konnte die Begleitgruppe Bau eine projektspezifische Arbeitsgruppe bilden und somit erstmals einen wichtigen Bestandteil ihres Mitwirkungskonzepts umsetzen. In diesem neu ins Leben gerufenen Mitwirkungsgefäss diskutierten die Mitwirkenden gemeinsam mit Mitgliedern aus dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung mögliche Anforderungen und Ziele für das Projekt und spiegelten sich gegenseitig die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Markt- und Standortanalyse.

Fester Bestandteil der Basisarbeit waren derweil Workshops, an denen nebst Verwaltungsrat und Geschäftsstelle auch die Projektgruppe miteinbezogen war. Daraus entstanden letztlich realistische Vorgaben für das nun vorliegende Ersatzneubauprojekt. «Wir haben uns viel Zeit für vertiefte Gespräche genommen und wogen diverse Argumente gegeneinander ab – ein fruchtbarer Mitwirkungsprozess», bestätigt Lukas Schmid. Überdies flossen auch die Anliegen der Probstei-Anwohner* innen in den Prozess mit ein und an einem Informationsanlass konnten alle interessierten Genossenschafter*innen aus den umliegenden Siedlungen die Ergebnisse aus den Workshops diskutieren.

«Wir haben uns viel Zeit für vertiefte Gespräche genommen und wogen diverse Argumente gegeneinander ab – ein fruchtbarer Mitwirkungsprozess»

Das Gespräch mit Lukas Schmid zeigt eindrücklich: Der Architekt ist Genossenschafter durch und durch. Neben seinem Engagement als Mitwirkender des Sunnige Hof ist er beispielsweise auch als Vorstandsmitglied einer anderen Siedlungsgenossenschaft im Raum Zürich tätig.

Blick auf das Wesentliche nicht verlieren
Trotz der Passion für die Genossenschaft und die Architektur: Fallstricke sind auch in einem solchen Projekt nicht zu vermeiden. So empfand Lukas Schmid es als herausfordernd, sich in den Diskussionen innerhalb der Projektgruppe nicht in der Vielfalt der Themen zu verlieren: «Es wurden Aspekte auf unterschiedlichsten Ebenen diskutiert: Was ist eine angemessene Aufteilung der verschiedenen Wohnungstypen? Was braucht es für Infrastrukturen für ein genossenschaftliches Zusammenleben? Wie grosszügig sollen die Wohnungen bemessen sein? Über wie viele Nasszellen sollen die einzelnen Wohnungen verfügen, und wie soll die Kostenstruktur aussehen?» Um sich in all diesen Fragen einzubringen, war ein bestimmter Grad an Fachwissen hilfreich, gibt Lukas Schmid ebenfalls zu Protokoll.

Trotz der komplexen Aufgabenstellung lässt sich das Ergebnis sehen. Dazu war es wichtig, dass die Projektgruppe das Genossenschafter und Architekt Lukas Schmid kann voll und ganz hinter dem Neubauprojekt Probstei stehen. 17 | Geschäftsbericht 2022 Wesentliche nicht aus den Augen verlor: «Schliesslich ist es uns gelungen, einige wichtige Fokusthemen als Anliegen aus der Mitwirkungsgruppe für den weiteren Verlauf des Entwicklungs- und Planungsprozesses der neuen Probstei als Projektziele zu formulieren und dem Verwaltungsrat vorzuschlagen. » Der Verwaltungsrat prüfte diese Ideen und Vorschläge wohlwollend und fällte daraufhin seine Entscheidungen – in der Regel im Sinne der Mitwirkung.

Fokus auf soziale Nachhaltigkeit
Tatsächlich stand das Motto für die Verantwortlichen der Projektgruppe früh fest: «Wir waren uns einig, dass der Fokus auf kostengünstigen Wohnungen liegen muss», sagt Lukas Schmid. Als Kondensat aus den intensiven Diskussionen formulierte die Projektgruppe gemeinsam mit der Begleitgruppe Bau den Slogan «preisWertig: ökonomisch, ökologisch und sozial» für die Erneuerung des Wohnungsbestands in der Probstei. Dafür plant die Genossenschaft, die 36 Reihenhäuser an der Dübendorfstrasse durch Neubauten mit rund 135 Wohnungen zu ersetzen. Zeitgemässe Schalt- und Gästezimmer, ein Gemeinschaftsraum, Ateliers und ein Doppelkindergarten sollen zu einem lebendigen, flexiblen und familienfreundlichen Siedlungsangebot beitragen. Darüber hinaus sind im Ersatzneubau auch Grosswohnungen mit bis zu sechs Zimmern anzutreffen.

Bereichernde Juryarbeit
Nach dem erfolgreichen Abschluss der Projektdefinition mit der Festlegung der Ziele gingen der angestossene Architekturwettbewerb und die damit verbundene Juryarbeit professionell, zielgerichtet, stufengerecht wie auch in einer genossenschaftlichen Atmosphäre über die Bühne. «Für mich war die Tätigkeit in der Jury trotz grossem Zeitaufwand ein positives Erlebnis. Die Diskussionen zwischen den unabhängigen Fachspezialisten und den Genossenschaftsvertreter*innen war vielschichtig und bereichernd. So konnten die unterschiedlichsten Blickwinkel in die Bewertung der Projekte miteinbezogen werden», führt Lukas Schmid aus. Die Vertreterin des Amtes für Städtebau habe stets die Bewilligungsfähigkeit im Auge behalten, während für die Landschaftsarchitektin die Einbettung in die umliegenden Aussenräume und das Quartier Priorität hatte.

«Für mich war die Tätigkeit in der Jury trotz grossem Zeitaufwand ein positives Erlebnis. Die Diskussionen zwischen den unabhängigen Fachspezialisten und den Genossenschaftsvertreter*innen war vielschichtig und bereichernd.»

Im Schlussspurt und nach Abschluss des Mitwirkungsprozesses beugte sich die Jury im Beurteilungsprozess über vier Projekte, welche es in die engste Auswahl schafften. Einen klaren Favoriten hatte der verheiratete Familienvater zu diesem Zeitpunkt noch nicht. «Alle vier Projektvorschläge bewegten sich auf Augenhöhe.» Ausserdem verfolgten die Architektenteams verschiedene architektonische Ansätze. Während ein Projektteam einen Teil der Bausubstanz erhalten wollte, versuchte ein anderes Architekturbüro, die maximale Dichte zu erreichen. «Das waren interessante Beiträge, weil sie uns in der Schlussrunde dazu zwangen, nochmals über grundsätzliche Themen zu debattieren.»

Aussenraum überzeugte
Am Ende setzte sich das Projekt «The Three Magnets» des noch jungen Büros MMMR Architekten im Gremium einstimmig gegen die Konkurrenz durch. Das Siegerprojekt leistet einen Beitrag zur Modernisierung der Gartenstadt Schwamendingen. Für Lukas Schmid gab unter anderem auch der Aussenraum den Ausschlag. «Die drei schlanken Häuser finden eine präzise Antwort auf die herausfordernde Situation der schmalen, entlang der Dübendorfstrasse gelegenen Grundstücke. Es gelingt den Architekten, auf der von der Strasse abgewandten Seite einen Siedlungsraum zu bilden, welcher auf selbstverständliche Weise beide Arealteile der Probstei miteinander verbindet.» Abgerundet wird das Projekt mit einem charakterstarken Steildach. Beim Betrachten der Pläne und des Modells reflektiert der Genossenschafter Lukas Schmid noch einmal die vergangenen Monate: «Der Entwicklungsprozess um den Ersatzneubau Probstei war ein gelungenes Beispiel für einen funktionierenden Mitwirkungsprozess, bei dem ein transparenter und offener Dialog zwischen Geschäftsstelle, Verwaltungsrat und Genossenschafter*innen stattfand.» Daher ist für den Architekten klar: Das von der Begleitgruppe Bau verfasste Mitwirkungskonzept konnte erfolgreich umgesetzt werden und ist zukunftsfähig – zum Wohl der Bewohnenden und der Genossenschaft selbst.